Kleine Erziehungsmaßnahmen

Spätestens seit Ende des Kaiserreichs ist die Zeit von "Herr & Diener" weitestgehend vorbei. Auch was das Taxigewerbe angeht, sofern es dieses ungleiche Verhältnis hier je gab. Es sollte - im Idealfall - ein Geschäftsverhältnis "auf Augenhöhe" sein. Bei manchen Kunden ist diese Weltanschauung offenbar noch nicht angekommen. Für solche Fälle habe ich immer ein paar kleine "Erziehungsmaßnahmen" in petto, wobei man natürlich darauf achten sollte, daß diese nicht als solche deutlich werden, sondern eher als "Denkanstöße" ´rüber kommen.

Am gestrigen Tag durfte ich gleich 2 x in die Denkanstoß-Kiste greifen.

Ein junge Familie, nebst Oma, mit 2 Kindern im noch nicht schulpflichtigen Alter ließ sich von mir im "Vito" zum Flughafen bringen. Das Gepäck war üppig, der Kofferraum bis oben hin gefüllt. Auf der hinterern 3er-Bank nahm "Papa" Platz und laß während der gesamten Fahrt seine Zeitung. In der Mitte hatte man der Oma die Gören, ..äh Kinder, überlassen und vorne saß Mama. Die Abholadresse war "angenehm", 2 große Wagen der oberen Mittelklasse standen im Carport und das Anwesen war von großen Bäumen umgeben. Kurzum, offenbar niveauvolle Kunden, was sich auch während der Fahrt bestätigte.

Am Flughafen organisierte "Mama" die Kofferwagen, Oma hielt die Kinder zusammen, Papa stand dumm ´rum und ich lud die Koffer aus. Kein Ansatz, mir die Koffer auch abzunehmen. Man lässt eben ausladen. Alles kein Problem. Als ich dann die mittlere Sitzbank wieder zurück stellen wollte, sah ich auf den rückwärtigen Sitzen das "Abendblatt", das Papa die ganze Fahrt gelesen und anschließend einfach dort abgelegt hatte. Frei nach dem Motto: "Lesen Sie, wir kümmern uns um den Rest!".

Aber nicht mir mir, dachte ich. Mit einem Griff hatte ich die zerfledderte, gut verteilte Zeitung vom Sitz genommen, faltete sie zusammen (was ich liebend gern auch mit Papa getan hätte..) und wartete eine halbe Sekunde ab. Er drehte sich gerade zu mir um, dann legte ich die Zeitung auf einen seiner Koffer. Demonstrativ und mit Nachdruck, sah ihn dabei aber nicht an. Ich wollte nicht belehrend wirken, sondern nur zeigen, was ich von seinem Verhalten halte. Es wirkte. Seine Frau kam mit 2(!) Kofferwagen gleichzeitig an (offensichtlich praktisch veranlagt und patent), er hievte die Koffer darauf und steckte etwas verschämt seine Zeitung ein.

Geht doch, oder?

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Wie oben schon erwähnt, sollte das Verhältnis Fahrgast - Fahrer eines auf Augenhöhe sein. Das bedeutet auch, daß man für den Fahrpreis die üblichen Standardleistungen bekommt und für Zusatzleistungen auch (freiwillig) zusätzlich bezahlen sollte. Sprich: gehe ich als Taxifahrer über meine Pflicht hinaus, erwarte ich vom Kunden auch einen Obulus, der angemessen sein sollte, aber natürlich immer noch freiwillig ist.

Am Donnerstag und Freitag erlebte ich die Kombination aus der bekannten Lebensweisheit "Man sieht sich immer zwei Mal" und daß man "nie auslernt".

Ein älterer Herr saß am Donnerstag beim Zahnarzt und hatte Zuhause seine Zahnprotese vergessen..--)). Also ließ er ein Taxi kommen. Ich sollte ihn in der Praxis abholen, was ich natürlich immer gerne tue. Langsam begleitete ich ihn zum Auto, half beim Einsteigen, beim Angurten usw.. Wir fuhren in sein Seniorenheim, ich wartete und er holte sein Gebiss. Anschließend ging´s zurück zum Arzt. Den Fahrpreis von 25,10 € beglich er auf den Cent genau. Ohne Zugabe. In diesem Moment war sein Gesicht in meinem Gedächtnis gespeichert. Ein Automatismus. Wie immer, versuchte ich die Fahrt schnellst möglich abzuhaken und mich nicht zu ärgern.

Dann, Freitag Vormittag, eine Bestellung zum örtlichen Augenarzt. Es hieß, ich solle den Fahrgast doch bitte oben in der Praxis abholen. Also, Auto parken, Taxameter einschalten und hoch gehen. Und? Wen sehe ich da? Den alten Herrn vom Vortag! Na, so was...--)) Die gleiche Prozedur wie am Donnerstag: begleiten, angurten, los fahren, nett sein.

  • "Ich glaube, Sie haben mich schon mal gefahren!?" meinte er.

  • "Ja, gestern. Ich habe Sie vom Zahnarzt abgeholt."

  • "Richtig.. ja, Sie wissen das noch..?"

  • "Ja", meinte ich, "an manche Fahrten erinnert man sich natürlich.."


Ich versuchte, diesen Satz so neutral wie möglich ´rüber zu bringen. Schließlich ist Trinkgeld immer noch eine freiwillige Sache.

Fünf Minuten später kamen wir im Seniorenheim an. Nun war ich gespannt, denn im Prinzip hatte ich die gleichen Zusatzleistungen gebracht, wie am Vortag.

  • "Das macht dann 10,80 €, bitte."


Er nahm einen 10er und legte noch 2,- € oben drauf.

  • "Der Rest ist für Sie!" meinte er.


Oha! Wieder einmal überraschte mich ein Fahrgast positiv.

Und das ist es doch auch, was unseren Job ausmacht. Man erlebt mehr Positives als Negatives, oder?

"Alter ist die Zeitspanne, in der man viele Fehler ablegt, weil man sie nicht mehr braucht.“


(von: Unbekannt)


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Kommentare

  1. Was du im zweiten Teil angesprochen hast, nämlich das bessere Trinkgeldverhalten "sich erinnernder Kunden" kann ich bestätigen.
    Es gibt natürlich viele Kunden die bei Erhalt ihrer Pizza, das gleiche (mehr oder weniger hohe) Trinkgeld geben.
    Allerdings gibt es auch diverse regelmäßige Kunden, bei denen ich deutlich gemerkt habe, dass das Trinkgeld bei der ersten Lieferung für den "unbekannten" Fahrer geringer ausfiel als bei nachfolgenden Lieferungen.
    Das freut natürlich, denn offenbar waren die Kunden ja zufrieden über die vorrangegangenen Lieferungen. An der Stelle drückt das Trinkgeld dann auch für mich eine persönliche Wertschätzung meiner Arbeit aus und nicht "nur" einen Obolus, "den man halt gibt", weils "so üblich ist".

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  2. Sehe ich genauso. Das Trinkgeld drückt, wie in der Gastronomie, die Zufriedenheit aus. Nicht das Fahrgeld laut Taxameter. Leider stelle ich fest, daß in dieser "Alles-billiger-Gesellschaft" eben auch an der Wertschätzung einer Leistung im Taxi gespart wird.

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  3. Wo ist denn das Problem mit der Zeitung, die der man liegen ließ?
    Finde ich ehrlich gesagt besser, als wenn er sie einfach am Flughafen in den Müll wirft - so hat möglicherweise der nächste Fahrgast noch was zu lesen.
    Also ich lasse meine Zeitung grundsätzlich in der U-Bahn liegen, nachdem ich sie ausgelesen habe! Aus demselben Grund - ich würde sie sonst nur wegwerfen, so gibt es aber garantiert kurz darauf einen Fahrgast, der sich darüber freut, kostenlosen Lesestoff für die Fahrtzeit zu bekommen.

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  4. Wenn ich davon ausgehe, daß deine Anmerkung ernst gemeint ist, dann kann ich dir folgende Antwort geben:
    Eine Zeitung, die in Bahn, Bus oder Taxi liegen gelassen wird ist Müll und gehört auch in denselben. Das Argument, der nächste möchte vielleicht auch noch darin lesen, finde ich immer scheinheilig. Dahinter steckt in den allermeisten Fällen die Faulheit, einen Mülleimer zu suchen. Nichts anderes.
    Deiner Argumention folgend, könnte man dann auch einen noch warmen Becher mit Kaffee oder ein nicht aufgegessenes Brot liegen lassen. Vielleicht hat noch jemand Hunger oder Durst?

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  5. Zunächst: Ja, ich meine das durchaus ernst. Und zumindest in der U-Bahn finde ich das absolut legitim und in Ordnung! Eine ausgelesene Zeitung ist - zumindest, wenn sie wieder entsprechend zusammengefaltet ist - keineswegs "Müll", sondern quasi neuwertig und ich halte es für wahnsinnig dekadent und verschwenderisch, wenn ich die Zeitung wegwerfe, sobald ich damit fertig bin. Denn wie schon erwähnt können noch einige Leute was davon haben, bevor sie dann letztendlich wirklich zum Wegwerfen ist - wenn der Tag nämlich vorbei und die Inhalte der Zeitung deswegen höchstwahrscheinlich uninteressant geworden sind.
    Faulheit? Keinesfalls. Gleich in der U-Bahn hätte ich doch schon massenweise Mülleimer, nach dem Aussteigen direkt am Bahnsteig sowieso. Nein, ich mache das absichtlich, weil ich es als (zugegeben) kleinen, aber doch sinnvollen Dienst, sowohl an meinen Mitmenschen, aber natürlich auch an der Umwelt sehe.
    Dein Vergleich mit den Nahrungsmitteln zieht nicht, das siehst du doch bestimmt selbst ein. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob ich eine gelesene, wieder gefaltete Zeitung - die wie gesagt im Prinzip neuwertig ist, und die genauso gut "frisch" aus dem Kiosk sein könnte - oder ein halb konsumiertes Lebensmittel liegen lasse. Allein aus hygienischen Gesichtspunkten ist so etwas natürlich nicht "wiederverwendbar", zumindest nicht von gänzlich Fremden. Aber ich erlebe es immer wieder, dass sich Leute freuen, wenn sie in der Bahn was zum Lesen vorfinden - mir geht es ja genauso - und deswegen finde ich diese Angewohnheit absolut unterstützenswert.
    Ich muss allerdings zugeben, dass ich es verstehe, wenn du so etwas im Taxi nicht ganz so selbstverständlich siehst. Allein aufgrund der deutlich geringeren Passagierfrequentation dürfte da der Sinn des Ganzen spürbar geringer sein. Um am Beispiel zu bleiben: Hier hätte ich es angebracht gefunden, wenn der Betroffene seine Zeitung mitgenommen und beispielsweise im Wartebereich am Flughafen zurückgelassen hätte - da hätte sich bestimmt der ein oder andere Wartende gefreut.

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  6. @Max
    Einen Aspekt zum Thema ´Zeitung liegenlassen´ hast du ausgelassen: Genau wie ein Taxi hat auch eine U-Bahn einen Besitzer. Hast du den gefragt, ob du die Zeitung liegenlassen darfst? Verkehrsmittel sind kein Volkseigentum (mehr ;-) ).

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