Nach der Ebbe kommt die Flut

Ein Freund von Sport war ich nie. Jedenfalls nicht von dem, den ich selbst betreiben sollte. Ich quälte mich so durch den Schulsport oder auch später in der Polizeikaserne. Abzeichen machen, weil´s gefordert ist - ja. Aber nicht mehr.
Heute wurde mir wieder bestätigt, daß man mit sportlichen Aktivitäten wie "Koffer schleppen" o.ä. auch nicht mehr Geld bekommt. Eher für das Gegenteil.

Was sich jetzt erst einmal harmlos anhört, hat mich heute Morgen mächtig geärgert. Zuerst jedenfalls.

Der Fall: eine ältere Dame rief an, bestellte ein Taxi, das sie zur S-Bahn bringen sollte. Und ob den der Taxifahrer bitte hinauf zur Wohnung kommen könnte, wo er ihr Gepäck abholen möge? Ach ja, er möge dieses dann bitte auch zum Bahnsteig tragen..!? Das wäre wohl sehr nett.

So oder ähnlich muß sie sich wohl am Telefon ausgedrückt haben. Ich fuhr hin. Im Kopf klickte die Kombination: alte Dame + Gepäck tragen = gutes Trinkgeld!
Der Aufzug brachte mich in den 2. Stock und weiter ging´s zu Fuß. Ich versuchte, einen möglichst motivierten und dynamischen Eindruck zu machen. 2 Stufen auf einmal, zack, zack, die alte Dame wartete schon und lächelte erfreut.
  • "Sie müssen der Taxifahrer sein!?"
Nein, der Weihnachtsmann! dachte ich.
  • "Ja, guten Morgen. Darf ich Ihr Gepäck nehmen?"
Ein großer und ein kleiner Koffer, mehr nicht. Aber auch die beiden hatten ihr Gewicht. Treppe runter, weiter mit dem Aufzug und ab damit in den Kofferraum. Trotz der kurzen Fahrt unterhielten wir uns über alles Mögliche.
Am Bahnhof fand schnell einen Parkplatz und schlug meiner Kundin vor, doch erst "das Finananzielle" zu regeln, dann bräuchte ich nicht meine Geldbörse mitnehmen.
  • "Natürlich. Was macht es denn?"
  • "6,50 € bitte!"
Ein irgendwie blöde Summe. Aufrunden auf 10,- € wäre ok gewesen, aber nicht berauschend und dem Aufwand kaum gerecht geworden. 15,- € hätte ich als übertrieben angesehen.
  • "Dann machen Sie doch... 7,50 €!" meinte sie.
Einen kurzen Augenblick setzte mein Atem aus. Auch das Herz stolperte, jedenfalls hatte ich das Gefühl. Zumindest ein leichtes Vorhof-Flimmern deutete sich an. Dann zog ich langsam und sehr tief die Luft in die Lungen, gab ihr das Wechselgeld und stieg aus. Ruhig atmen und nichts anmerken lassen, dachte ich.

Die Straße überquerte ich mit 4 Schritten, die Treppen nahm ich doppelt so schnell wie gewohnt. Die alte Dame hatte Schwierigkeiten zu folgen. Am liebsten hätte ich ihr beiden Koffer die Treppe hinauf geworfen, anstatt sie zu tragen. Jede Sekunde war hier eine zuviel. Ich wollte wieder ins Auto, Geld verdienen und nicht meine Zeit verschwenden.
Natürlich stellte ich das Gepäck auf den Bahnsteig, drehte mich um und verschwand mit einem kurzen Gruß. Weg hier!

___________________________

Der Himmel musste wohl gemerkt haben, daß meine Adrenalinspiegel bedrohlich hoch lag. Er schickte mir gleich im Anschluß eine Kundin, die ein paar Dinge zu erledigen hatte und ich sollte währenddessen im Auto auf sie warten.
Erst fuhren wir zum Arzt, dann zum Supermarkt und zum Schluß noch zum Metzger. Die Uhr lief und entspannte langsam wieder. Im Auto sitzen und Geld verdienen - DAS war Arbeit, die ich mochte.

Auf dem Weg nach Hause fragte sie nach meiner Wagen-Nummer, die ich ihr natürlich gab.
  • "Schön, dann kann ich beim nächsten Mal gleich nach Ihnen fragen. So weiß ich, daß ich einen sehr geduldigen Fahrer bekomme..--))!"
Wenn sie wüsste, wie sehr ich mich gerade erst wieder abgeregt hatte!

Als sie vor der Haustüre gezahlt hatte, freute ich mich schon auf die nächste Tour mit ihr..--))!

  • "Fragen Sie gern gleich nach mir. Bis bald!" rief ich noch hinterher.
Für den heutigen Tag hatte ich aber von emotionalen Wechselbädern genug.

Kommentare

  1. Ohhh, wie ich genau das kenne. Wir müssen an uns arbeiten lieber Marco. In letzter Zeit werden solche Aufträge inkl. Sonderwünschen immer mehr. Man bietet gern den Service, nur muß dieser bezahlt werden. Das Du sofort kassiert hast, war genau richtig, denn den Fehler mache ich leider oft. Du hättest Ihr die Problematik dann erklären müssen, so schwer es auch ist. Ich habe durch die Aufzeichnungen in meinem Blog gelernt und Du kannst das auch. Nett und freundlich es erklären, das es so nicht geht.

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  2. Die Dame war wahrscheinlich schon sehr alt und ist mit ihrem Tringeldgefühl irgendwo in den 50ern hängengeblieben.

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  3. Als ich angefangen habe zu lesen, hab ich mir (auch) gedacht, so ca. 5 € wären wohl angemessen, je nachdem auch wie weit der Weg im Bahnhof ist.
    @Bernd
    Deine Vermutung könnte stimmen, ging mir ein paar Jahre nach der Euro-Umstellung auch mal so, als ich oft noch umgerechnet habe. Für eine Gefälligkeit eines Handwerkers hätte ich 10 Mark gezahlt, hab dann 5 € gegeben. Im Abstand von ein paar Jahren wären auch damals sicher 10 € angemessener gewesen.

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