Nachbarschaftsfürsorge

Der Umgang mit älteren Kunden ist oft anstrengend, aber manchmal auch fast rührend... Sie pflegen ganz oft noch dieses "direkte Miteinander", im Gegensatz zu meiner, bzw. der schon nachfolgenden Generation. Hier läuft nichts mehr ohne Handy oder Internet. Ja, ich gestehe, ich bin auch einer davon. Und zwar mit Begeisterung!

Der alte Herr am Donnerstag war aber noch ganz "altmodisch" - und das ist hier nicht negativ gemeint. Ich holte ihn am Krankenhaus ab, wo er mit seinem großen Koffer geduldig gewartet hatte. Er nannte mir sein Ziel in Bergedorf und meinte:

  • "Ich habe aber kein Geld dabei! Meine Frau ist hoffentlich zu Hause, sonst frage ich bei Nachbarn."
Eine jüngere Generation ("Generation Google") hätte bereits über´s Handy alles abgeklärt, er besaß offenbar keines.

Direkt vor seiner Haustüre war ein guter Platz zum Parken: auf dem Radweg. Er humpelte auf seine Tür zu und klingelte. Keine Reaktion. Er klingelte erneut und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Ein zufällig vorbei kommender Radfahrer blickte irritiert herüber.

Es passierte hinter der Tür nichts. Der alte Mann gab´s auf. Er schlurfte langsam zum Nachbarhaus, etwa 30 Meter entfernt und klingelte.

Da! An seiner Haustüre öffnete sich ein Spalt und ein Nachthemd kam zum Vorschein. Dazu hörte ich eine Stimme.

  • "Jaaa? Halloooo?"
  • "Guten Morgen. Ich bin der Taxifahrer ihres Mannes. Er ist bereits bei den Nachbarn um Geld zu holen.
  • "Wie bitte???"
Die alte Dame war wohl ein wenig überrascht. Kein Wunder. Ich winkte dem alten Mann und rief. Er sah mich, schlurfte zurück und drängte ins Haus. Nebenbei erklärte er seiner Frau, um was es ging. 
In seinem Schlepptau allerdings tauchte nun seine Nachbarin auf. Sie hatte einen etwas besorgten Blick auf, kam näher und blickte mich fragend an.
  • "Herr W. war gerade bei mir. Was wollte er? Ist alles in Ordnung?"
Ihre Augen drückten ehrliche Sorge aus. Mir war klar, hier kümmerte sich wohl noch jeder um jeden. Vermutlich viele ältere Leute, die gegenseitig ein Auge auf einander hatten. Irgendwie ein idealer Zustand: sie lebten noch selbstständig, ohne Betreuung von Außen und waren trotzdem nicht alleine. 
  • "Alles in Ordnung. Herr W. wollte sich gerade bei Ihnen Geld leihen, um mich zu bezahlen."
Herr W. kam heraus, erklärte die Szene noch einmal und die Nachbarin trabte zufrieden und beruhigt zurück. Seine Frau hatte die Situation nun endgültig begriffen und war wohl der Meinung, daß ich mich gut um ihren Mann gekümmert hatte. Sie rundete großzügig auf und winkte zum Abschied. 

Nun war ich wohl ein Teil der Nachbarschaft? Nein, danke. Ein paar Jahre wollte ich auf soviel Fürsorge noch verzichten können..--)).

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