Der billige Puff

Mittlerweile hat sich bei mir einiges Neues getan. Ich bin im Jobwechsel und fahre als Übergang wieder Taxi. Aber nicht mehr im Hamburger Vorort Reinbek, sondern in der Kleinstadt Mölln. Hier ist das (Taxi-)Publikum anders und die Fahrten oft länger, weil es in der Mehrzahl Überlandfahrten sind. Mal ist man in Ratzeburg, mal in Lübeck, mal in der ehem. DDR.. Ist ja nicht da "rüber".

Mein 2. Standbein ist allerdings der Chauffeurdienst. Eine interessante Branche in der es 3 Premissen gibt: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Diskretion. Dafür ist sie besser bezahlt, als die Taxibranche und die Autos haben - wie soll ich es sagen? - ein anderes Niveau.
Ich arbeite also als "freiberuflicher" Chauffeur mit Gewerbeschein. So kam ich auch an den nachfolgend geschilderten Auftrag, der mir viel Spaß gemacht hat.

Ein Unternehmer aus der Hamburger Musikszene feiert einen runden Geburtstag. Dazu hatte er über 50 Gäste in eine ehemalige Kult-Rock-Kneipe in HH-Rahlstedt eingeladen, die von weit her, aber auch aus dem Hamburger Stadtgebiet kamen.



Sein Angebot an die Gäste sollte ein Shuttleservice sein, der sie von Zuhause oder vom Hotel zur Kneipe brachte und später auch wieder zurück. Im Wagen der Firma, einem VW Phaeton.

Dazu buchte er bei einem lokalen Limousinen-Unternehmer einen Fahrer, kurz: Chauffeur in Anzug mit Krawatte. Schließlich sollten Auto und Fahrer zusammen passen. Ich wurde angesprochen, ob ich das übernehmen wolle und ich sagte zu.
Die Gäste, die abgeholt werden wollten, riefen mich an und ich sagte ihnen eine Zeit, zu der ich bei ihnen eintreffen würde. Es wurden einige Fahrten, aber die interessanteste war die mit 2 Paaren: einem Paar aus Hamburg (nachfolgend "Rocker" und "Piepsi" genannt) und einem Paar aus Oberbayern (nachfolgend "Charlie" und "Blondie" genannt).

Charlie und Blondie logierten in einem Hotel nahe des Flughafens und von dort holte ich sie ab. Charlie hörte sich wohl gerne selbst reden, während Blondie (hier auf keinen Fall abwertend gemeint, denn sie war sehr sympathisch) eher still war. Auf dem kurzen Weg zu Rocker und Piepsi schwallte bereits eine Flut von "mir-san-mir"-Sprüchen über mich hinweg. Um den Redefluß zu stoppen, band ich Charlie in die Suche nach der richtigen Hausnummer mit ein. Es war schwierig, denn den wenigsten Häuser waren beleuchtet.

  • "Die san ja alle net dahoam...!" meinte Charlie geistreich, was mich allerdings nicht weiter brachte.
Endlich hatten wir das richtige Haus gefunden, ich klingelte und Rocker (mit Stirnband und Lederjacke in der Tür stehend) meinte, sie kämen in 2 Minuten raus. 
Draußen im Auto gab Charlie nun bereits zum dritten Male sein "..die san net dahoam.." von sich, was ich aber ignorierte. 

Rocker kam mit seiner Frau zum Auto, er setzte sich zu mir nach vorne, während Piepsi die linke hintere Tür mit spitzen Fingern öffnete und piepste: 
  • "Ich kann nichts anfassen, da ist überall Lack drauf..", 
womit sie ihre weit von sich gestreckten Hände meinte. Sie "piepste" nicht nur, nein, sie lispelte auch noch dazu! Was für eine Kombination! 

Auf der Fahrt zur Kneipe ergab sich ein in weiten Teilen für Charlie schon fast peinliches Gespräch zwischen den beiden Paaren, die sich vorher noch nie gesehen hatten. Charlie schlug wieder diesen "Mir-san-mir"-Ton an, sprach von Seehofer und den Sozialtouristen aus Rumänien und Bulgarien und überzog uns mit flachen Witzen über "Selbstschußanlagen" u.ä., die man jetzt in Bayern überall installieren würde. Urkomisch. 
Rocker bemühte sich um ebenso flache, wie dünne Antworten. Piepsi hauchte in Abständen ein 
  • "Äächt..?" 
in die Runde. Die Fahrt zog sich hin und danach wusste ich, was der Begriff "Ewigkeit" bedeutete... 

Bei der nächsten Tour konnte ich mich dann etwas erholen - ich hatte 2 Kölner im Auto. Was für eine Wohltat! 

Hatten Charlie und Blondie auf der Hinfahrt noch angekündigt, nicht lange bleiben zu wollen (der Flug nach München sollte schon am Sonntagvormittag um 11 Uhr abheben), so kam es, wie es nach solchen Aussagen immer kommt - es wurde trotzdem spät. 
Erst um 1.15 Uhr kamen sie aus dem Lokal und brachten Rocky und seine Pieps-Trulla gleich mit. Alle leicht bis mäßig alkoholisiert, laut und inzwischen gut befreundet. Zum Glück sind die Straßen um diese Zeit nahezu leer und ich schaffte die Strecke nach HH-Ohlsdorf in gut 20 Minuten. Trotzdem - Charlie´s Witze waren im Laufe des Abends nicht besser geworden, dafür seine Geschichten um so schlüpfriger. Allerdings war ihm wohl entfallen, daß vor ihm ein Ex-Münchner als Fahrer saß. 
Und so erzählte er freizügig von Firmenausflügen in die Münchner Puff-Szene und wie sein Vorgesetzter mal eingeschlafen sei, während eine Stangen-Tänzerin vor ihm Verrenkungen machte... Natürlich hatte er selbst NIE den Service der Damen im "Leierkasten" genutzt, nur immer auf die Kollegen "..gewartet..". 
  • "Leierkasten?" fragte Rocky neben mir, während Charlie sich in Rage redete.
Ich erklärte ihm, daß das einer "billigsten" Puffs in München sei, bzw. war. Das warf natürlich ein anderes Licht auf Charlies Firmen-Stories. 
  • "Also in billigen Puffs wart ihr?" fragte Rocky süffisant und Charlie stutzte.
Er hatte wohl realisiert, daß ich Rocky die Info gesteckt hatte. 
  • "Du kennst den "Leierkasten"?" fragte er mich.
  • "Klar. Als Taxifahrer habe ich mir ab und zu meine Provision dort abgeholt, wenn ich Fahrgäste für den Laden hatte."
Sofort waren die Geschichten von Stangen-Tänzerinnen und schlafenden Chefs vorbei. 

Der Rest der Nacht verging wie im Flug, denn nach und nach zog es alle nach Hause. Ich kam mir irgendwie vor, als säße ich im Taxi. Nur das Fahrzeug war edler und ich trug Anzug. Aber die Geschichten waren die gleichen. 



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