Toxikologie

Zu den zwar nicht sonderlich beliebten, aber eben unvermeidlichen Touren in unserem Gewerbe zählen sog. "Materialfahrten", d.h. es werden keinen Menschen, sondern eben nur Material (Blut, Dokomente, Geräte, usw.) befördert. Meistens sind es Arztpraxen oder Krankenhäuser, die solche Touren in Auftrag geben. Ein Stammkunde unserer Firma ist u.a. das Krankenhaus Reinbek, und einer der Stamm"empfänger" die Uni-Klinik Eppendorf, kurz UKE genannt, mitten in der Stadt auf einem riesigen Gelände gelegen.

Heute Morgen erwischte es mich mal wieder, aber da mein Vormittag schon recht arbeits- und ertragreich gewesen war, nahm ich´s gelassen. Noch. Denn das Chaos begann schon bei der Materialabholung im KH Reinbek, Intensivstation. Ein Pfleger öffnete und ließ mich rein.

  • "..Da vorne auf´m Tresen liegt´s, glaube ich.."


Sehr genaue Angabe, muß ich schon sagen. Da es aber nur einen Tresen gab (ohne Barkeeper, versteht sich), musste ich nicht lange suchen. Als ich den diensthabenden Arzt nochmals befragte, ob der vor mir liegende Umschlag (mit Blutserum) der richtige sei, meinte er nur:

  • "..Puuhh, da fragen Sie nun aber den Richtigen.. Ich glaube, ja.."

  • "Glauben Sie´s oder wissen Sie´s.. Und wohin soll´s im UKE gebracht werden?"

  • "..Öh, ja, öh, müsste drauf stehen.. Ah, ja, hier steht´s: Toxikologie..!"


Meine Erfahrungen im UKE hätten mich schon warnen müssen. Denn ungenaue Angaben können verherend sein, jedenfalls was die Sucharbeit und -dauer nach der richtigen Abteilung angeht...--((

Also, ab ins Auto, soviele Toxikologien werden sie schon nicht haben. Dachte ich. Nach 30 Minuten Fahrtzeit fuhr ich auf´s Gelände und ging zu meinen Freunden vom Werkschutz, um mich nach dem richtigen Gebäude zu erkundigen.

  • "..Toxikologie? Da müssen Sie nach N30. Am besten, Sie fahren um´s Gelände rum, suchen sich einen Parkplatz und gehen durch den Seiteneingang. Dann sind´s nur noch 50 m Fussweg.."


Machte er Witze? Der Mann kam wahrscheinlich jeden Morgen mit dem Bus, denn er wusste ganz offensichtlich nicht, daß man - außer zur Nachtzeit - rund um´s UKE praktisch keinen Parkplatz bekommt. Also bedankte ich mich und fuhr an seinem Häuschen vorbei, direkt auf´s Gelände. Mit dem Plan auf dem Beifahrersitz, einem Auge auf die Fahrstraße und einem auf der Skizze. Fünf Minuten später hatte ich N30 erreicht. Und es gab sogar einen, nicht ganz legalen, Parkplatz. Macht nichts, muß reichen, ich bin ja gleich wieder hier.

Im Vorraum des Gebäude traf ich auf eine - zugegeben -  äußerst attraktive, junge Frau, die ich natürlich gleich nach dem Weg fragte.

  • "Nein, die Toxikologie ist nicht hier im Haus, soviel ich weiß.. Aber fragen Sie mal drinnen nach.."


Drinnen traf ich nur einen Mann. Er hatte eine Wischmopp in der Hand und einen Eimer schmutzigen Wassers vor seinen Füßen.

  • "..Suchen..?"

  • "..Die Toxikologie..!"

  • "..Toxi..., nein, nicht hier. Drüben!" und deutete nach nebenan.


Es gab noch einen Eingang. Hier waren die Damen nicht mehr ganz so hübsch, dafür aber wissender.

  • "..Die Toxikologie ist umgezogen. Schon länger. Die finden Sie jetzt in W23, junger Mann..!"


Der Kamm schwoll mir langsam an. Ich dachte mit Sorge an mein nicht so ganz korrekt geparktes Auto und sah im Geiste schon den Abschleppwagen nahen.. Dann hörte ich in meinem Kopf eine Stimme:

  • "..Lächle! Es könnte schlimmer kommen..!"


Ich lächelte. Und es kam schlimmer.

Als ich nämlich nach weiteren 10 Minuten das Gebäude W23 erreichte, dort einen ganz regulären Parkplatz fand und hinein ging, war mir noch vor dem ersten Wort meines Gegenübers klar, daß die Suche noch nicht zu Ende war.

  • "..Nee, nee, mein Lieber, das ist sicher nicht für uns..!"

  • "..Aber hier steht "Toxikologie" auf dem Umschlag?!"

  • "..Jaaa, aber trotzdem. Das ist sicher für die Kollegen der Rechtsmedizin."

  • "..Bitte? Dann rufen Sie sie doch dort an und sagen Ihnen, daß sie das Material hier bei Ihnen abholen können. Ich für meinen Teil habe nämlich die Nase vom Suchen und Herumfahren voll..!!!"


Er ignorierte meine Wut und rief in der Rechtsmedizin an. Tatsächlich. Man wartete dort schon auf die Sendung.

  • "Sie müssen aber dafür aus dem Gelände hinaus und ins Gebäude N81..!"


Ich kochte. Die Rechtsmedizin war mir natürlich gut bekannt. Um diese zu erreichen, näherte man sich von einer anderen Seite dem UKE-Gelände, durch eine kleine Seitenstraße, Butenfeld genannt. Als ich W23 verließ entdeckte ich eine kleine, offenen Pforte, die genau in der Straße Butenfeld hinaus ging. Von dort waren es nur noch gut 100 m zu Fuß, bis ich N81 erreichte. Man war ganz erstaunt, daß die Kollegen in Reinbek nicht gleich "Rechtsmedizin" auf den Umschlag geschrieben hatten..--((?!

  • "..Das müssen die doch langsam wissen..!"


Ich jedenfalls weiß seit heute eines: vor der nächsten Tour ins UKE lasse ich mir vom Auftraggeber erst einmal die genaue Gebäudebezeichnung aufschreiben. Nochmals über 30 Minuten - unbezahlt - den Detektiv spielen - davon habe ich die Nase voll!

Als ich die Klinik verließ, war der Himmel herrlich blau, es schien die Sonne und es war kalt. Irgendwie doch ein genialer Job, oder..--))?

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