Sträflingsanzug

Es war der erste wirkliche "Rauswurf" meines beruflichen Lebens. Im (geographischen) Umfeld der angeblichen "verrücktesten Faschingsparty Deutschland" in HH-Bergedorf ("Lilabe") kann man im Laufe einer Nacht auch entsprechende Typen aufsammeln.

Es war 2.30 Uhr, als mir an einer roten Ampel ein junger Kerl im "Sträflingsanzug" zuwinkte und die Tür öffnete.

  • "Nnnimmmssst du mich mit..?"


Da kein Hamburger Kollege in der Nähe sichtbar war und der junge Mann offensichtlich fror, forderte ich ihn auf einzusteigen.

  • "Wohin soll´s denn gehen?"

  • "Nnacchh (HH-)Billstedt"


O.k., ich wendete und steuerte auf die B5 Richtung Innenstadt. Währenddessen tippte er mehrfach eine Nummer in sein Handy. Es klingelte, aber scheinbar waren seine potentiellen Gesprächspartner alle schon im Bett. Oder noch auf der Party. Wir waren gut 2 Minuten unterwegs, als ich von ihm genauere Zielangaben haben wollte.

  • "Welche Straße in Billstedt?"


Zur Erklärung für alle Nicht-Hamburger: Billstedt hat in Hamburg ungefähr den Ruf wie Marzahn in Berlin oder das Hasenbergl in München. Das gibt es in jeder Großstadt und der Umstand, daß mein Fahrgast einen (nachgemachten) Sträflingsanzug trug, hatte schon ein gewisse Art von Komik.

  • "Äh, ja, ich denke, daß du mich sowieso vorher ´raus schmeisst..!?"


In meinem Kopf klickte es.

  • "Du hast KEIN Geld dabei..???"

  • "Oh, Mann, ich steh seit 3 Stunden in der Kälte und will nur nach Hause."

  • "Nochmal - du hast kein Geld dabei und hältst ein Taxi an?"

  • "Du kannst mich ja anzeigen. Hier... mein Ausweis."


Auf der rechten Seite tauchte ein "Burger King" auf. Ich hielt an und stoppte das Taxameter.

  • "Weißt du, wie man das nennt? Betrug!"

  • "Ich sag´ ja, du kannst mich anzeigen."


Irgendwie fand ich den Sträflingsanzug in diesem Moment nicht mehr so komisch.

  • "Raus! Rechts von dir ist die Tür!"

  • "Hey, ich friere mir den A... ab, Mann!"


Fehlte nur noch, daß er "Digger" zu mir sagte.

  • "Ich will dich nicht anzeigen, ich will nur, daß du verschwindest. Aber wenn jetzt noch ein Streifenwagen vorbei fährt, komme ich auf deinen Vorschlag zurück."


Er starrte mich an, weil er wohl erst verarbeiten musste, was ich meinte. Ich hatte nicht die Absicht, wegen 5,90 € die Polizei zu holen und noch eine halbe Stunde mit Schreibkram zu verbringen.

  • "Die Tür. Dort. Rechts von dir!"


Maulend und fluchend verließ der Kerl mein Auto. Ich gab Gas, bevor er mir nochmals seinen Personalausweis unter die Nase halten konnte. Die 5,90 € schrieb ich ab. Der verlorene Fahrpreis stand in keinem vernünftigen Verhältnis zum zeitlichen Aufwand einer Anzeige.

Zum Glück blieb´s die einzige Fehltour in dieser Nacht.

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