Kennen Sie Glinde?

Für gewöhnlich beginnt mein Arbeitstag gegen 5.45 Uhr. Ich komme in unsere Zentrale, begrüße gut gelaunt alle Anwesenden und mache mir Wasser für meinen Kaffee heiß. Anschließend wird das Auto "aufgerüstet" (tolles Wort, kenne ich noch aus meiner Polizei-Ausbildung..--)), dann geht´s los.

Für gewöhlich läuft das so. Aber nicht gestern. Ich kam gut 5 Minuten später als gewohnt, öffnete die Tür und Kollegin K., unsere Nachtschicht-Funkerin, begrüßte mich mit:

  • "..Ah, endlich, nu´ aber hopp! Du musst um 6 Uhr beim Kunden sein! XY-Straße 5, es geht zum Hauptbahnhof...!"

  • "Ähh, und mein Kaffee?"


Das war die einzige Gegenfrage, die mir einfiel. Ohne meinen Kaffee (übrigens ein Malzkaffee, ohne Koffein. Ich bin kein Koffein-Junkie..--)) sollte ich los?? Das sportlich gesteckte Ziel, innerhalb von 8 Minuten den Wagen "aufgerüstet" und zum Kunden gefahren zu sein, schreckte mich weniger. Habe ich noch immer geschafft.

So zog ich eben erst mal eine Runde zum Hauptbahnhof und stürmte 1 Stunde später als gewohnt mit meinem Becher nochmals in die Zentrale. Blöder Tag. Und der Fahrgast hat meine Bemühungen auch nicht honoriert.

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Den Kopfschüttler des Tages lieferte mir ein älteres Ehepaar am frühen Nachmittag. Es hieß, ich sollte sie an der Rampe des Krankenhauses in Reinbek abholen. "Rampe", das bedeutete die Anfahrt im Tiefgeschoss, hauptsächlich für die Sanitäter gedacht, die zur Notfallaufnahme mussten. Die "Rampe" wird gern von gehbehinderten Fahrgästen genutzt, da hier - so sagt es der Name bereits - keine Treppe zu überwinden ist.

Zu erst einmal ließ ich mir nach Auftragsannahme noch 2 Minuten Zeit, mein kleines Mittagessen zu Ende zu bringen. Schließlich brauchen gehbehinderte Fahrgäste etwas länger, also - kein Stress!

Von wegen Gehbehinderung! Als ich vorfuhr kamen mir 2 rüstige Rentner, Mitte 60, ziemlich flott entgegen. Was folgte, war die klassische Sprachteilung von Paaren, die wohl schon eine Ewigkeit zusammen leben: keiner hört dem Anderen noch wirklich zu...--))

Sie meinte:

  • "Nach Glinde, bitte!"


Er sagte:

  • "Nach Glinde, bitte! Kennen Sie Glinde?"


Glinde ist, wie Reinbek, ein Ort an der östlichen Stadtgrenze von Hamburg und gut 3 km Luftlinie entfernt. Die Frage erschien mir so absurd, daß ich sie ihm so auslegte, er wolle wohl wissen, ob ich mich in Glinde auskenne..!?

  • "Selbstverständlich. Zwar nicht im Detail und jeden Weg, aber - wo möchten Sie denn dort hin?"

  • "Zur katholischen Kirche!"


Schon stießen meine Ortskenntnisse an ihre Grenzen. Das lag aber daran, daß ich in Bayern aufgewachsen bin (nicht geboren..--))!) und man dort - im Gegensatz zum Norden - Fahrtziele mit Straßennamen verbindet, während man hier gerne Supermärkte ("Edeka Müller" oder "Schlachterei Petersen") oder ähnliches angibt.

Die Angabe "katholische Kirche" half mir also nicht weiter.

  • "Die kenne ich leider nicht..." gab ich zu.

  • "Na, beim Autohaus Volvo XY.."


Schon wieder so eine typisch norddeutsche Zielangabe. Ich beschloß, konkreter zu fragen.

  • "Wie heißt die Straße, in der sie wohnen?"

  • "Möllner Landstraße..!"


Aha - geht doch!! Das hätte mir nun endgültig als Angabe für gut 95% der Fahrtstrecke gereicht. Mein männlicher Fahrgast war wohl anderer Meinung.

  • "..Also, Sie fahren oben links, dann bis zur Kreuzung und dort rechts.."


Hatte er mir nicht zugehört?? Als ich den Straßennamen bekam, schilderte ich ihnen in Kurzform wie ich fahren würde. Alles für die Wand gesprochen? Einen Kilometer weiter, an besagter Kreuzung, setzte er das Spiel fort.

  • "Wenn sie anschließend geradeaus fahren, müssen Sie auf der K80 die erste Ausfahrt..."


Ich schaltete auf Durchzug, denn was hätte ich erwidern können ohne unfreundlich zu wirken? Seine Frau schien das begriffen zu haben.

  • "Laß´ doch, er hat doch gesagt, er wüsste, wohin..!"


Zwecklos. Beide redeten offenbar in verschiedenen Welten. An der Abfahrt nach Glinde ging´s weiter...

  • "..und oben dann rechts abbiegen..!"


Jede Ecke wurde kommentiert und die Wegbeschreibung fortgesetzt. Ich sagte inzwischen gar nichts mehr.

Der Knüller kam aber ganz am Ende. Mister "Ich-kenne-den-Weg-am-besten" meinte kurz vor Schluß:

  • "..und da vorne bei den parkenden Autos müssen Sie in die Einfahrt ´rein..!"


Ich sah parkende Autos in gut 150 m Entfernung auf der linken Seite, davor eine Einfahrt. Alles klar. Ungefähr 100 m davor schrien beide plötzlich:

  • "Nein, hiiieer..!"


Zum Glück fuhr hinter mir keiner, so konnte ich stark bremsen, was die Beiden in ihre Gurte presste...--)). Es gab nämlich eine 2. Einfahrt und mir ist schleierhaft, wie Mister "Ich-weiß-alles-besser" sich so unexakt ausdrücken konnte? Dieses kenne ich sonst nur - meine weiblichen Leser mögen mir verzeihen - von Frauen! Da sind nebulöse Angaben zu Haltepunkten der Regelfall...--))

Im Verhältnis zum Fahrpreis, war die "Service-Abgabe" für mich genauso sparsam, wie sein Wille zum Zuhören..

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Der Tag fand aber noch eine "süße Abrundung". Gegenüber vom Taxistand am Bahnhof befindet sich seit Neuestem eine Art Eiskaffee. Kauft man dort Eis, so hängt die Größe der Portion davon ab, ob "sie" arbeitet oder "er". Gestern war "er" dort und ich äußerte meinem türkischen Kollegen B. gegenüber, daß die Portionen bei "ihm" im Verhältnis zum Preis für die Kugel zu klein sind. B. meinte nur:

  • "Kommst du mit, wir holen.."


Ich ließ mich breit schlagen. Innen sprach B. kurz mit dem Verkäufer - auch ein Türke und zufälligerweise aus der gleichen Stadt wie Kollege B.. Daraufhin bekam ich die größte Kugel, ich ich je auf einer Waffel gesehen hatte..--))

Beziehungen sind eben alles!

Kommentare

  1. Sei vorsichtig, Marco! Beim Türken die größte Eiskugel zu kriegen könnte dir irgendwann als Bestechlichkeit, Kollaboration oder `weiß der Teufel was´ ausgelegt werden!

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