Gleich - und doch nicht gleich

Wie passt das zusammen? Nun, ich kann mich an Ähnliches auch nicht erinnern, aber der Schichtbeginn, sprich: die ersten beiden Touren, der letzten beiden Tage ähnelten sich. Irgendwie.

Gestern Morgen - ein klassischer Montagmorgen. Zwar ohne früheren Schichtbeginn als sonst, also um 5.45 Uhr, aber mit einer meiner geliebten Flughafentouren. Bestellt war für 6.00 Uhr in einer recht neuen Einfamilienhaussiedlung im Stadtteil Schönningstedt.
Sinnigerweise hat man hier den Straßen Namen von Getreide- und Blumensorten gegeben ("Roggenkamp", "Kornblumenring"), also von Pflanzen die man durch den Bau der Siedlung erst zerstört, bzw. verdrängt und dann in den Straßennamen wieder hat auferstehen lassen.

Die Bewohner können sagen: "Wir wohnen im Kornblumenring. Kornblumen gibt´s hier nicht, nein, die wurden durch den Bau unserer Häuser kaputt gemacht, aber es gab sie mal..!"

Aber das ist nun polemisch.

Der Kunde wohnte tatsächlich im Kornblumenring. Punkt 6 Uhr klopfte ich an seiner Haustür, um die Familie nicht zu wecken. Klingeln hatte mir mal Ärger gebracht, deshalb lasse ich es jetzt lieber sein..--)).
Er streckte den Kopf zur Tür hinaus und hauchte (!): "Guten Morgen. Jaa, ich komme gleich.."
Zwei Minuten später saß er neben mir. Schweigend. Ich versuchte mit der üblichen Methode zu erfahren, ob er sich unterhalten wollte.
  • "Welches Terminal soll´s denn sein?"
  • "Lufthansa."
Also Terminal 2. Ich hatte auch schon mal die Frage umgekehrt gestellt, also nach der Fluglinie gefragt - bekommen habe ich die Nummer des Terminals...--((. Egal, man fragt immer verkehrt.

Von nun an schwiegen wir uns an. Den Höhepunkt erreichte das Silencium am Bahnübergang Hammer Straße. Die Schranke war geschlossen, wir warteten. Er zog sein Handy heraus und las offensichtlich seine Emails. Ich zog mein Handy heraus und prüfte neue Facebooknachrichten...--). Moderne nonverbale Konversation nennt man so etwas wohl?

Erst am Flughafen kam die Unterhaltung wieder richtig in Gang.
  • "Sie möchten mit Kreditkarte bezahlen?"
  • "Ja."
  • "Benötigen Sie zusätzlich eine Quittung?"
  • "Ja."
Er stieg aus und nahm sein Gepäck entgegen.
  • "Guten Flug wünsche ich Ihnen!"
  • "Danke."
Er sparte wohl Worte für sein Meeting auf..--)). Egal. Sein Danke in Form von Trinkgeld war mir genauso viel wert, wie die nicht stattgefundene Unterhaltung. Zumindest zu dieser Morgenstunde.


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Diese Kombination aus Schweigen, Fahren und Großzügigkeit war in Ordnung für mich. Weniger gelungen war dann die, die ich heute Morgen als erstes erfuhr.
Beinahe brutal wurde das erste Klönen mit dem Kollegen Norbert von unserer Funkerin unterbrochen, indem sie mich um 6.15 Uhr nach Sachsenwaldau schickte. Ein Fahrgast sollte ins AK HH-Altona gebracht und ein wenig "betreut" werden.

Zur Erklärung: "Sachsenwaldau" hätte man in früheren Jahren als "Trinkerheilanstalt" bezeichnet. Heute natürlich nicht mehr. Wo kämen wir denn da hin in unserer politisch überkorrekten Zeit??Denn es wohnen und therapieren dort nicht nur Alkoholkranke, sondern auch psychisch Kranke und Behinderte. Wer mehr erfahren will, kann auf den Begriff klicken.

Kurzum, die Fahrgäste haben in meisten Fällen ein paar Schwierigkeiten. Psychischer oder physischer Art. Manchmal werden sie so krank, daß man ihnen dort nicht helfen kann, dann fahren wir sie in ein Krankenhaus.
Sicher kann man sich denken, daß diese Fahrten bei uns Fahrern nicht sonderlich beliebt sind. Alles geht auf Rechnung, kein Bargeld, kein Trinkgeld. Dafür meistens viel Aufwand, übel riechende Fahrgäste und oft unterirdische Gespräche.

Heute soll ein Herr M. ins AK Altona gebracht werden. Als erstes sah ich, als die Gebäudetür aufging, einen Rollator. Prima. Dann schlurfte ein älterer Herr mit gebeugter Haltung und Trinkernase auf mich zu, daneben seine Betreuerin.
  • "Bitte bringen Sie Herrn M. nach Altona und begleiten ihn auf seine Station!"
Das bleibt einem in der Regel glücklicherweise meist erspart, denn die Krankenschwestern übernehmen das. Ist ja auch ihr Job.

Herr M. stieg ein, neben mir, und starrte durch die Scheibe. Gern oder nicht gern fahren - das stellte ich hinten an. Ein Kunde ist ein Kunde und muß vernünftig behandelt werden. Also versuchte ich eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
  • "So, Sie müssen also nach Altona?"
  • "Jauu.."
Hmm..
  • "Sie bleiben über Nacht dort?"
  • "Jauu.."
Sein Wortschatz war offenbar begrenzt. Nun gut. Fahren wir erst mal los. Ich rechnete mit gut 40 Minuten Fahrtzeit.
Genau 38 Minuten später bog ich in die Vorfahrt des AK Altona ein, an dem gerade sich die aufgehende Sonne zeigte.



Mein wortgewaltiger Fahrgast hatte doch tatsächlich während der gesamte Fahrt nicht ein weiteres Wort über die Lippen gebracht! Er hatte nur geradeaus gestarrt und mir den Eindruck vermittelt, daß es ungemein schwer gewesen wäre, überhaupt ein gemeinsames Gesprächsthema zu finden...

Dann war das eben der zweite schweigsame Morgen hintereinander. Darf auch mal sein.

Herrn M. habe ich übrigens bei der "Aufnahme" abgeben können. Auf der anschließenden Rückfahrt ließ ich mich von meinem Lieblingssender berieseln. Ich liebe meinen Job..--))!

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